Digitaler Zwilling als Vermittler zwischen in-situ-Schadensdetektion und globaler Tragwerksanalyse
Wenn Bauwerke schon von Beginn an überwacht werden (Structural Health Monitoring, SHM), sind alle Informationen zu Schädigungsprognose verfügbar. Bei bestehenden Bauwerken ist dies im Allgemeinen nicht der Fall. SHM an realen Bauwerken zielt auf die Ermittlung von kritischen Details auf Basis von deterministischen oder probabilistischen Betrachtungen ab. Dabei werden überwiegend Messungen mit Dehnungsmessstreifen, Wegaufnehmern und Beschleunigungssensoren vorgenommen. Besonders bei deterministischer Betrachtung ist viel Erfahrung bei der Auswahl der Messstellen erforderlich. Außerdem muss eine gewisse Degradation des Bauteils eingetreten sein: Risse, Korrosion und Abplatzungen, damit diese bei visuellen Inspektionen erfasst werden können (s. Abbildung 1).
Die besondere Schwierigkeit bei der Entwicklung geeigneter Modelle zu Beschreibung des Bauwerkszustands ist, dass die Bauwerke in Hinblick auf Baustoffe, Bauweise, Tragkonstruktion, Beanspruchung, Alter und Zustand höchst unterschiedlich sind und einer permanenten Veränderung unterliegen. Daher sind die Informationen streuend, unsicher und/oder zudem hochgradig zeitveränderlich. Der Fortschritt der Schädigung bis zu einem kritischen Zustand kann jedoch mehrere Jahrzehnte dauern. Die Informationen, die über Jahre zu einem Bauwerk anfallen, haben bislang einen dezentralen Charakter. Die Verknüpfung ist bisher nicht zureichend, viele Aufgaben werden redundant durchgeführt, bereits gewonnene Erkenntnisse können übersehen werden. Die Verknüpfung könnte mit den Methoden des Building Information Modeling (BIM), das in den letzten Jahren einführt worden ist, vorgenommen werden. Bisher ist allerdings die besondere Anforderung des SHM nur in Ansätzen untersucht worden, eine vollständige Integration ist noch nicht erfolgt. Fragestellungen zum Umgang mit komplexen Messsystemen, die auf unterschiedlichen Skalen arbeiten, sind noch nicht ausreichend untersucht worden (s. Abbildung 1).
Deshalb ist es das Ziel dieses Forschungsvorhabens grundsätzliche Fragestellungen zur digitalen Verknüpfung von lokalen in-situ-Schädigungsdetektionsmethoden und konventionellem SHM über Digitalen Zwilling (Digital Twin, DT) zu untersuchen. Ausgehend von den Untersuchungen aus dem Flugzeugbau, soll das Konzept des dort etablierten Prinzips des DT, bestehend aus Komponenten mit reduzierter Ordnung für Brückenbauwerke adaptiert und erweitert werden (s. Abbildung 3). Die digitale Verknüpfung von SHM, in-situ-DIC Messungen und DT erfolgt über „optimal classification trees“ mit „hyperplane splits“ (OCT-H), um nachvollziehbares maschinelles Lernen sicherzustellen. Die besondere Herausforderung bei der Weiterentwicklung der Methode für das Bauwesen ist, dass die Schädigungsprozesse, die in Bauwerken zur Alterung und Abnutzung führen, physikalische und chemische Prozesse sind, die auf unterschiedlichen Skalen (Material-, Bauteil-, Bauwerksebene) erfasst werden müssen.
Im Zentrum des Forschungsvorhabens steht die Entwicklung einer baustoffübergreifenden und allgemeinen Methode zur Verknüpfung von in-situ-Messungen mit dem DT. Zu berücksichtigende Nebengebiete sind optimale Sensorplatzierung, nachvollziehbares maschinelles Lernen und online Bauwerksüberwachung.